Rituelle Waschungen zählen nicht zum Pflegebedarf

Hilfestellungen bei rituellen Waschungen moslemischer Gläubiger begründen keinen Anspruch auf Pflegegeld in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Dies entschied das Sozialgericht Dortmund im Falle einer 61-jährigen Frau türkischer Herkunft aus Hagen, die als gläubige Moslemin fünfmal täglich zu Gott betet und sich infolge dessen unter Zuhilfenahme von Familienangehörigen täglich fünf rituellen Waschungen unterzieht. Der Zeitaufwand für das An- und Ausziehen, das Waschen und das Ausbreiten des Gebetsteppichs beträgt jeweils 15 Minuten.

Die Pflegekasse der AOK Westfalen-Lippe lehnte die Gewährung von Pflegegeld ab, weil der Zeitaufwand für Hilfebedarf bei Verrichtungen der Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten täglich betrage.

Die hiergegen bei dem Sozialgericht Dortmund erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht stellte nach medizinischer Begutachtung fest, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I, weil der erforderliche Grundpflegebedarf im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität bei lediglich 29 Minuten täglich liege. Trotz der gesundheitlichen Einschränkungen der Versicherten infolge einer diabetischen Sehbehinderung, eines Wirbelsäulenleidens, eines Bluthochdrucks und einer Herzerkrankung liege kein weitergehender Pflegebedarf vor.

Das Sozialgericht lehnte es ab, den Zeitaufwand für Hilfen im Rahmen der fünfmaligen rituellen Waschungen dem Grundpflegebedarf hinzuzurechnen. Der im Rahmen einer Religionsausübung anfallende Hilfebedarf sei nicht Gegenstand der Leistungsgewährung in der Pflegeversicherung. Diese beinhalte nur zur Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgängliche Pflegehilfen. Hierzu zählten die rituellen Waschungen trotz ihrer Bedeutung für die Erhaltung und Wiedergewinnung der geistigen und seelischen Kräfte der gläubigen Klägerin nicht. Das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung gebe keinen Anspruch auf Gewährung finanzieller Mittel zur Ausübung der Glaubensfreiheit.


Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 23.02.2006, Az.: S 39 P 84/04, rechtskräftig

Pressemitteilung vom 21.11.2006